A New Kind of Science - A New Kind of Art?

Einführung in das digitale Universum der zellulären Automaten


- Vorlesung und Seminar an der Kunsthochschule Kassel im WS 04/05

Sogenannte zelluläre Automaten, eine Entdeckung des Mathematikers und Begründers der mathematischen Spieltheorie John von Neumann, gedeihen nach einfachen Regeln, die Zellen eines Gitternetzen miteinander wechselwirken lassen. In einem bestimmten Zeittakt wechseln alle Zellen gleichzeitig den Zustand. Der darauf folgende Zustand eines Gitterpunktes – einer sogenannten Zelle – hängt hierbei von den jeweiligen Zuständen der Nachbarzellen ab.


John Conway's "Game of Life": 6 Generationen

Dieses recht einfache Arrangement hat zu einer Zäsur in der Mathematik geführt. Der Mathematiker Stephen Wolfram der wesentlich in den 90-er Jahren zur Weiterentwicklung der zellulären Automaten beigetragen hat, spricht deshalb von einer „Neuen Art von Wissenschaft“. Zustände des Gesamtsystems können nicht wie bei herkömmlichen Gleichungen vorausberechnet werden, sondern müssen tatsächlich bis dahin durchgespielt werden. Die Komplexität liegt hier in der Wechselwirkung der Zellen untereinander. Diese Komplexität steht zumeist in Kontrast zu der Einfachheit der zugrundeliegenden, äußerst simplen Regeln.

Zelluläre Automaten liefern neue Blickwinkel auf rechnerbasiertes künstliches Leben („artificial life“) und werden vor allem für die Simulation von Selbstorganisationsprozessen verwandt.


Ausgangskonfiguration und Ergebnis der sog. Misch-Masch- Maschine


Fragestellung des Seminars

Im Zentrum der Lehrveranstaltung steht die Frage, ob sich diese neue „Art der Wissenschaft“ auch für Neues in Gestaltungsprozessen und in der Kunst als fruchtbar erweist. Die Erörterung der Fragestellung beginnt mit dem Durchspielen einfacher zellulärer Automaten am Schachbrett und arbeitet sich anhand von Seminarbeiträgen vor in die Bereiche der Computeranwendung.


Simulation der CO-Oxidation in einem Katalysator verwandt für ein Plugin des MP3-Player XMMS


Emergenz

Das Gesamterscheinungsbild eines zellulären Automats ist mehr als lediglich die Summe seiner Einzelteile. Zelluläre Automaten veranschaulichen so Emergenz. Stets tauchen emergente, d.h. kalkulierte aber doch unvorhergesehene, Konstellationen auf. Da der Interaktion der Zellen eine maßgebliche Rolle zukommt, entsteht so ein Gesamtgefüge auf dessen Erscheinungsbild jede einzelne Zelle Einfluß hat.
Daß jeder Zelle eine gleichbedeutend wichtige Rolle zukommt, zeigt, daß je nach der Ausgangssituation sich drei Konstellationen einstellen: der Automat pendelt sich auf einen Zyklus immer wiederkehrender Muster ein oder er bleibt irgendwann bei einer bestimmten Kombination stehen, oder die Bewegung bleibt außerhalb jedweder visuellen Regelmäßigkeit.
Ein zellulärer Automat erweist sich auf der Bildebene also als ein hochkomplexes Gefüge von Einzelelementen, die beständig miteinander agieren. Diese Wechselwirkungen machen jede Bildbetrachtung zu einem eigendynamischen Prozeß, der sich nicht mehr mit dem klassischen mathematischen Blick in Form von Algorithmen bändigen läßt.

Bisherige Arbeit mit zellulären Automaten

Auf zelluläre Automaten griff ich das erste Mal im vergangenen Winter an der „Kunstfassade“ München zurück. Auf dieser Hausfassade mit 76 fenstergroßen über das Internet in der Farbgebung ansteuerbaren RGB-Leuchtelemente habe ich mit Hilfe von zellulären Automaten die Navigation auf Pixelebene u.a. durch das Hubbel Deep Field, das wohl tiefste kosmische Fenster, das bis zu 13,5 Milliarden Jahre zurückblicken läßt, gesteuert. Das Interessante hierbei, einen zellulären Automaten zu verwenden, ist, das Bild selbst mit in die Steuerung einzubeziehen. Richtung und Geschwindigkeit eines Quadrats von 10 mal 10 Pixeln geschah in Wechselwirkung mit den umgebenden, benachbarten Pixeln.

Links:

Pixelsex/ Myxo Automon live at the KPN Tower/Rotterdam

Zelluläre Automaten/ Institut für Geographie Münster (Zsfssg. Gerhard und Schuster)

Zelluläre Automaten mit Linux- und Java-Anwendungen (Linux Magazin)

http://www.collidoscope.com/modernca/
Modern Cellular Automata (Applets)

http://www.fraktalwelt.de/lsys/ablager.htm
Wachstumssimulationen :Zelluläre Automaten - Bakterien

http://beat.doebe.li/bibliothek/w01401.html
BiblioMap zu "Zelluläre Automaten"

http://math.hws.edu/xJava/CA/
Cellular Automata And the Edge of Chaos (Applets)

http://www.wolframscience.com/
Stephen Wolfram's Website

http://www.biomodeling.info/simulator/simulator.html
CA simulator for modeling biological patterns

http://www.heise.de/newsticker/meldung/27361
Das Universum als zellulärer Automat (heise.de 14.02.04)

Cellular automata and music (IBM)

einführende Literatur:

Gerhardt, Martin; Schuster, Heike: Das digitale Universum - zelluläre Automaten als Modelle der Natur,Braunschweig 1995

Wolfram, Stephen: A new kind of science, Champaign IL 2002


http://www.pixelsex/cellular.html
concept: Tim Otto Roth
July 2004
www.imachination.net